Ein Jahr später halte ich nun das fertige Buch in der Hand, mit einer Danksagung, in der mein Name auftaucht. Das hatte ich als Blogger auch noch nicht so oft. Die Wahrheit ist, das Buch Die Musketiere vom Wedding hat mir ein Setting nähergebracht, das ich vorher viel zu lange ignoriert habe. Und es hat mir gezeigt, wie stark historische Romane sein können, wenn sie nicht nur geschichtliche Fakten abbilden, sondern echte Geschichten erzählen, mit echten Figuren, echten Gefühlen und einer Relevanz, die bis ins Heute reicht.
Worum geht’s? Um vier Jungs aus dem Berliner Arbeiterbezirk Wedding, die seit ihrer Kindheit unzertrennlich sind. Willi, Emil, Joseph und Hans, beste Freunde, quasi Brüder. Sie teilen alles: Träume, Ängste, Kippen, das letzte Stück Brot. Die vier sind ein eingeschworenes Team. Doch 1933 ist nichts mehr wie früher. Die Nazis übernehmen die Macht, die Straßen werden gefährlicher, die Stimmung kippt. Und auch bei den Vieren fängt es an zu bröckeln.
Willi verliebt sich in Brad, einen US-amerikanischen Journalisten, was zu dieser Zeit nicht nur gesellschaftlich unmöglich ist, sondern auch lebensgefährlich. Joseph träumt vom großen Durchbruch als Schauspieler, verliert sich aber zunehmend in dieser Idee von Ruhm und Bedeutung. Emil ist der stille Fels in der Brandung, kümmert sich liebevoll um seine kleine Nichte und hält, wo er kann, die Dinge zusammen. Und Hans? Der marschiert plötzlich in SS-Uniform und bringt damit alles ins Wanken.
Stein erzählt sicherlich keine einfache Geschichte. Es geht um Liebe, Verrat, um politische Überzeugungen und um Freundschaft, die hart an ihre Grenzen kommt. Es geht aber auch um Momente voller Wärme, Zusammenhalt und Nähe in einer der dunkelsten Zeiten der Welt. Gerade die Beziehung zwischen Willi und Brad ist so unfassbar feinfühlig und ehrlich erzählt, dass allein dieser Part die Geschichte locker allein tragen könnte. Und das alles vor dem Hintergrund eines Regimes, das alles zerstören will, was nicht in sein Weltbild passt.
Was ich an diesem Buch besonders mag: Orlando Stein traut sich was. Er macht es sich nicht einfach. Die Figuren sind nicht nur gut oder böse, sie sind widersprüchlich, menschlich, manchmal feige, manchmal mutig und manchmal auch beides gleichzeitig. Hans zum Beispiel: Dass er zur SS geht, ist furchtbar. Und trotzdem versteht man irgendwie, warum. Nicht, weil man’s gutheißt, auf keinen Fall, aber weil Stein zeigt, wie schleichend solche Prozesse sein können. Wie Menschen sich verändern. Wie Ideologien greifen, wie schnell sich solche vor allem in den Köpfen der Menschen festsetzt.
Und genau das hat mich dann auch überzeugt: Es ist keine „Nazi-Geschichte“, oder über den Umsturz der Welt, es ist eine Geschichte über Menschen. Über Freundschaft. Über Entscheidungen. Über das, was bleibt, wenn ringsherum alles andere wegbricht.
Ich hab’s schon oben gesagt, aber ich wiederhole es nochmal: Dieses Buch hat mir eine Welt eröffnet, in die ich sonst freiwillig nie eingetaucht wäre. Und seitdem habe ich so viele andere Bücher gelesen, die ähnliche Themen behandeln, weil mich Die Musketiere vom Wedding für etwas sensibilisiert hat, das ich vorher einfach ausgeblendet habe. Ich konnte mich jahrelang nicht erwärmen für Geschichten, die in diesem dunklen Setting gespielt haben. Orlando Stein hat mich damit eines Besseren belehrt.
Der Schreibstil ist direkt und klar, die Gespräche zwischen den Figuren natürlich. Stein schreibt so, wie man denkt. Mal rau und mal zart. Und ja, ich sag’s ganz offen: Ich habe mehrfach schlucken müssen. Weil selbst die Gefühle, die der Autor transportiert, echt sind. Die Angst. Die Hoffnung. Der Schmerz. Die Liebe. Es ist alles da und alles greifbar.
Was mich auch beeindruckt hat: Wie viel Relevanz dieses Buch auch heute noch hat. Klar, es spielt 1933, aber man könnte es genauso gut in 2025 verorten. Die Themen sind dieselben. Rechte Hetze. Politische Radikalisierung. Menschen, die sich trauen, anders zu sein und dafür verfolgt werden.
Es ist fast schon unheimlich, wie aktuell das alles wirkt. Sicherlich nicht alles 1:1 übertragbar, aber wir nähern uns beängstigend an. Und genau deshalb ist dieses Buch wichtig. Nicht nur literarisch, sondern vor allem gesellschaftlich.
Ich kann’s wirklich nur jedem ans Herz legen. Egal, ob queer oder nicht. Egal, ob du historisch interessiert bist oder nicht. Dieses Buch hat Herz. Es hat Haltung. Und es hat Tiefe. Es ist mutig, es ist warm, es ist schmerzhaft und schön zugleich. Für mich eins der stärksten Bücher, die ich als Blogger gelesen habe. Punkt.
Text: https://buchkomet.wordpress.com
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