Wenn ich mich auf dem Buchmarkt so umsehen, entdecke ich in den meisten Literatur-Genres (hetero, homo, queer …) meist junge Protagonist *innen. Oder zumindest welche im „besten Alter“. Sie sind gesund, fit, meist gutaussehend und sexuell aktiv.
Natürlich auch in meinen Geschichten. Klar. Gefällt mir ja. Doch, ab welchem Alter werden Charaktere für Autor*innen uninteressant? Oder überhaupt … uninteressant?
Wenn sie Falten bekommen, lieber Bücher lesen und Rotwein trinken, als Sexdates zu haben? Haben die Alten überhaupt noch ein Leben?
Und dann taucht die Frage auf: Will ich selbst alt werden? Bin ich wirklich schon 61? Sind meine eigenen Geschichten vielleicht wie Botox, die mir das Gefühl geben, noch dabei zu sein? Schiebe ich meine eigene Vergänglichkeit von mir und flüchte mit dem Schreiben in die ewige Jugend?
Charaktere sollen ja spannend sein und Abenteuer erleben. In Lovestory, Krimi, Thriller, Roadmovie, Fantasy, um nur ein paar aufzuzählen. Wer sagt denn, dass Alte da nichts zu suchen haben?
Ich denke da an der Filmklassiker „Harold & Maude“.
Geschichten hören ja meist da auf, wo das Alltagsleben beginnt, die Routine. Zugegeben, Alltag klingt so spannend wie Katasteramt oder Sterbeversicherung und davon haben wir alle genug. Eine kleine Flucht daraus sei uns also wirklich gegönnt.
Funfact 1: Alte Menschen hatten zumindest ein Leben. Was haben sie nicht für Geschichten auf Lager! Von erfüllten und unerfüllten Träumen, von Schicksalen, Glück, Unglück, von Krieg, Entbehrungen und auch Liebe -verbotene, heiße, oder von einer, sie sich über Jahre erst entwickelte. Das hat doch etwas mit ihnen gemacht.
Ach, das alte Zeug, denken wir.
Ich erinnere mich sehr gut, wie die Alten in meiner Familie von früher erzählten, von Krieg, Arbeit und Leben. Sie lachten, weinten und zitterten dabei und ich lauschte ihnen mit gespitzten Ohren. Mein Leben kommt mir im Vergleich dazu heut wirklich so langweilig vor wie ein Katasteramt. Und dass, obwohl ich nicht viel ausgelassen habe.
Und da fällt mir noch was auf: Geschichte behandeln wir queere Menschen auch gern mit spitzen Fingern. Doch: Was wären wir ohne die jetzigen Alten, die für uns gekämpft und gelitten haben? Damit wir jetzt da stehen, wo wir stehen und Freiheiten genießen, die einmal undenkbar waren. Wo sind diese Leute? Sind sie raus? Überflüssig? Tod? Marginal? Haben sie keine Stimme mehr? Danken wir es ihnen?
Gewonnene Freiheiten werden schnell als selbstverständlich angesehen. Wir genießen sie und werden im Genuss bequem. Wir regen uns auf, wenn rechte Gruppierungen immer Stärker werden und auf junge Menschen eine gewisse Attraktivität ausüben. Und warum?
Meine Theorie: Weil eben das „alte Zeug“ in Vergessenheit gerät. Da schleppen sich 90-Jährige in Schulen und erzählen, wie schnell die Nazis an die Macht gekommen sind, wie schnell Menschenverachtung und Ausgrenzung funktionieren.
Das ist nur ein Beispiel. Satte Menschen müssen ja nicht kämpfen.
Dabei könnten wir Autor*innen alten Menschen in Büchern eine Stimme geben. Wir können ihnen ihre Geschichten zurückgeben und mit unseren verknüpfen. Generationen vermischen. Jeder kann von jedem etwas mitnehmen, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet. Wenn man füreinander offen ist, dann könnte Selbstfindung und Austausch in jedem Alter möglich sein, könnten sich neue Wege auftun. Oder nicht? Das würde unseren Geschichten doch eine ganz andere Tiefe verleihen.
Ich weiß, einige alte Menschen sind besserwisserisch, verhärmt, einsam oder verlieren ihren Lebensmut. Warum? Weil sie nicht mehr so sind, wie früher? Weil sie keiner mehr hört?
Dagegen stehen einige junge Menschen, für die das Leben eine Party ist, die nur das tun, was ihnen gut tut, weniger arbeiten und mehr verdienen wollen. Work-Life-Balance, ist das Zauberwort. Ich bin kein Wirtschaftsexperte und weiß nicht, ob das auf Dauer so aufgeht.
Aber Funfact 2: Ich weiß, Leben kostet verdammt viel Geld, das nicht vom Himmel fällt. Und als Autor zähle ich meine Arbeitsstunden ohnehin nicht.
Diese beiden Parteien zusammenzubringen, funktioniert wahrscheinlich nicht. Oder so eine Gegenüberstellung gäbe einen guten Plot.
Mein Fazit: Leben ist im Grunde eine Aneinanderreihung von Jahren und Erfahrungen. Da kommt keiner ohne Falten und Wehwehchen raus. Es gibt nur eine Richtung und was am Ende auf uns wartet, ist auch klar. Wir werden selbst alt, die Jungen werden uns links liegenlassen und unsere Geschichten vergessen. Werden ihr eigenes Ding machen. vielleicht ist das nicht zu ändern und jede Generation macht eben ihre Fehler. Manchmal gewaltige, irreparable.
Eigentlich sollten wir unsere Vergänglichkeit zelebrieren, sie uns bewusst machen, samt allen kleinen Freuden, die uns auf dem Weg dahin begleiten. Jede Blume, jedes Lächeln. Wir ernten, was wir säen.
Die großartige Hildegard Knef hat einmal in einem Interview gesagt: „Wenn du einmal im Leben einen Menschen glücklich gemacht hast, dann hast du nicht umsonst gelebt.“
Das wollen wir doch alle. Nicht umsonst gelebt haben.
In meinem Kopf dreht sich schon seit längerem eine Geschichte mit zwei schwulen Männern in meiner Generation. Ich habe sie immer wieder weggelegt, weil ich dachte, das will keiner lesen. Das wird keiner veröffentlichen. Der Markt will das nicht.
Ich sollte sie wieder aus der Schublade holen.